Das Lagerfeuer

"Ohne Waren und den Handel der Hauptstadt gingen auch die anderen Städte der Zwerge dem Untergang entgegen. Zwar trifft man dort noch Zwerge an, aber sie sind sehr dünn bevölkert und verfallen langsam zu Ruinen..."

"Was? Aber wie kann das zugelassen werden? Ich meine, warum gibt es keinen Handel und keine Waren?", fragte sie irritiert.

"Ich habe euch doch erzählt, dass unsere Hauptstadt in Trümmern liegt... dort ist kein einziger Zwerg mehr."

"Aber... also, ich dachte, sie verfallen, weil es keinen Handel gibt. Und das deswegen die Zwerge fernbleiben.", sagte sie verwirrt.
"Und nun sagt Ihr, dass die Städte verfallen, weil die Zwerge wegbleiben? Ich muss zugeben, ich bin etwas durcheinander."

"Nun, die Hauptstadt wurde von Zwergen verlassen wegen des Krieges. Und diese war das Zentrum unserer gesamten Infrastruktur.
Daraufhin verließen Zwerge auch die anderen Städte, da es dort nichts mehr zu essen oder sonst etwas gab und gingen zu den Menschen oder gründeten Dörfer und Siedlungen auf der Oberfläche um zu überleben."

"Es tut mir leid, dieses zu hören. Doch könnt Ihr die Elfen als das Gegenteil ansehen: Sie ziehen sich zurück, wagen keinen Schritt vor. Kein Schritt, kein Wissen, ein ewiger Sarg, so Ihr so möchtet. Und es stellt sich die Frage, welches Schicksal für eine Nation besser ist.", sinnierte sie.

Eine längere Zeit verstrich und während das Feuer langsam hinunterbrannte, grübelte der Zwerg sichtlich tief in sich hinein. Doch dann kam wieder Leben in ihn: Er schob mehrere kleine Holzstücke und einige große Scheite in das Feuer und begann zu sprechen...

"Entschuldigt bitte meine etwas langsame Art, weehrte Miss Cithy.. In meinem Alter drehn' sich die Zahnrädchen im Kopf etwas zögernd.
Sagt, gibt es denn noch viele von eurem Volk da draußen in der Welt?"

"Das weiß ich nicht.", gestand sie.
"Meiner Siedlung geschah ein... kleiner Unfall.", meinte sie etwas bedrückt. "Und die meisten mit bekannten Elfen sind - anders."

Verwundert runzelte er seine Stirn.
"Wie meint ihr das? Was bedeutet denn 'Anders' ? Und was für eine Art Unfall war es denn?

... Verzeiht bitte, falls euch diese Fragen stören sollten.. Ich bin eben auf meine alten Tage noch sehr neugierig."

"Viele sind kriegerisch. Andere haben die Natur vergessen. Sie sind nicht wie wir. Keine Rituale, keine Magie, die vom Ursprung an da war.
Sie sind wie... wie Menschen."

Sie schien die Frage auf den Unfall zu ignorieren.

Er nahm an dass dieser Unfall eine schmerzliche Erinnerung sein musste und fragte daher nicht weiter nach

"Ähnlich geht es auch den Überlebenden meines Volkes, denen ich bisher begegnet bin... Ich selbst habe seit vielen Jahren kein einziges Ritual praktiziert.."

"Zwerge praktizieren Rituale?", fragte sie neugierig. Er konnte wohl kaum von den üblichen Saufgelagen reden.

"Bitte erzählt mir darüber, so Ihr möchtet."

Wie aus einer Lethargie erwachte nun auch Glângaw wieder zum Leben. Die letzten Tage des Marsches waren doch sehr anstrengend gewesen.
Doch als die Frage über Rituale der Zwerge aufkam, konnte sich der Gelehrte doch nicht der Chance verwehren, sein Wissen darzulegen.

"Natürlich gibt es bei uns einige Rituale, so wie bei jedem Volk. Auch wenn sie nicht mehr praktiziert werden . . So gedenken wir zum Beispiel am Mittwinter Lamdon, unserem Schöpfer. Meistens erzählt einer der Weisen von den Taten der Zwerge, Legenden aus alter Zeit . .
Natürlich hat es sich mittlerweile durchgesetzt, dass das ganze in einem Saufgelage endet", fügte der Zwerg schmunzelnd hinzu.

"Wie werden denn eure Riten abgehalten, Miss Cythi?"

"Die Riten?", fragte die Elfe, nippte nachdenklich an etwas Met, den sie sich gerade nahm.

"Nun, die sind unterschiedlich. Zu Frühlingsbeginn trinken wir, tanzen zum Klang der Natur und den Intrumenten in Reigen mit den Dryaden, den Bäumen und dem Winde. Und je näher wir dem Winter kommen, beginnen die nachdenklichen Zeiten, in denen Bewegungen und Tänze den Meditationen weichen, Geschichten.

Wir versuchen uns stets eins in Harmonie in der Natur und im Kreis des Lebens zu fühlen, verbunden mit der Erde... ohm..." Sie nippte erneut.

"Also, nicht zwangsläufig aufgrund von Alkohol. Allerdings lernen schon die jüngsten den... äh... sogenannten Nektar zu schätzen. Ich bezweifle allerdings, dass dieser Euch schmecken wird."

Sie grinste. "So wie Zwerge der Schnaps häufig mundet, brennt er den Elfen im Rachen. Und diese verlieren wohl nicht selten den Mageninhalt. Doch schlägt die Süße unserer Weine den Zwergen in den Kopf. Massen vermögen die meisten zu trinken. Doch ein Kelch unseres Weines und sie kippen aus den Stiefeln. Allerdings ohne Kater." Ihr Grinsen wurde breiter bei ihrer Erinnerung.

"Woher wisst ihr denn so genau über die Trinkfestigkeit der Zwerge bescheid? Hattet ihr etwa schon das eine oder andere Wetttrinken mit einem meines Volkes?" fragte der Zwerg lachend. Der Gedanke, dass eine zierliche Elfenfrau gegen einen abgebrühten Zwerg antrat, war doch ziemlich belustigend.

"Und was ist eigendlich dieser Nektar von dem ihr redet? "

"So kann man... das genau nicht nennen."
Sie klang recht zögerlich.

"Um ehrlich zu sein hatte ich einen Schnaps und übergab mich. Oder hatte ein Bier und... oh, sie rieten mir einfach, von dem Zeug die Finger zu lassen. Ich... ähm... erinnere mich nur begrenzt, um ehrlich zu sein."

Sie wirkte nachdenklich. "Nektar ist ein sehr süßer Wein, den wir Elfen trinken. Derart lieblich, dass man den Alkohol kaum schmeckt. Ich schätze, die Süße und der Alkohol schlugen dem Zwergen ins Gemüt."

Glângaw lacht dröhnend auf. "Das glaube ich euch gerne!" Er wischte sich eine einsame Träne der Heiterkeit von der Wange. "Aber, falls es euch tröstet, so geht es den meisten die je ein wahres Zwergenbräu tranken. Und damit meine ich auch uns Zwerge selbst", fügte er mit einem Grinsen hinzu.

"Süß? Ich verstehe euch Elfen nicht . . Alkohol soll doch nicht süß sein! Ein wirklich guter Tropfen muss im Rachen brennen und die Tränen in die Augen treiben! Und euer Nektar klingt wirklich nicht danach . . " Die Tatsache, dass er einen seines Volkes umgehauten hatte übersah er geflissentlich.

"Ich denke, die Geschmäcker sind verschieden.", versuchte Cythi versöhnlich zu argumentieren.

"Für meinen Teil vermisse ich den lieblichen Geschmack an meinem Gaumen. Zwar habe ich Elfenwein, doch ist er nicht das Gleiche wie der berauschende Tropfen. Ah, da denke ich voller Wehmut an meine Heimat zurück. Der Wein so leicht wie die Gedanken und die Wolken und lieblich wie der Gesang der Vögel und das Plätschern des Wassers. So lasse ich mir den Alkohol gefallen. Ein Getränk wie das Land selbst.", sprach sie verträumt und seufzte wie eine schmachtende Maid dem gutaussehenden Schausteller hinterher.

"Nun . . Da haben wir etwas gemeinsam. Hätte ich hier einen echten Zwergenschnaps müsste auch ich voll Wehmut an unsere nun zerfallenen Hallen denken. Aber es ist wohl besser, das, was nicht ist, ruhen zu lassen. Wenn es euch nichts ausmacht . . Wenn die Gespräche unsere alte Heimat treffen ist es doch ein schmerzlicher Gedanke . ."

Den leeren Blick in die Ferne gerichtet stocherte er in dem herabbrennenden Feuer, und obwohl die Glut wieder aufflammte schien ihn ein Schatten zu überziehen. Glângaw Düsterklinge . . überlebt hatte er, und mit ihm die Erinnerungen. Ein tiefer Seufzer entwich ihm und er streckte ohne hinzublicken die Hand auffordernd nach Cythis Flasche aus.

"Er ist lieblich.", warnte sie ihn vor. "Für Euch gar süß. Die meisten würden ihn wohl als Likör bezeichnen."

Sie reichte ihm die Flasche. "Aber dafür tritt die Wirkung rasch ein." Vielleicht ein tröstlicher Gedanke für ihn.

"Habt Ihr Balladen oder Geschichten bei Euch? Ich würde gerne eine hören."

"Wahrscheinlich habt ihr recht. Aber in manchen Situationen ist es einem egal, mit welchen Mitteln man vergessen kann.. Die Erinnerungen an all das, was war, schmerzen. Verzeiht, falls ich eure Stimmung zunichte mache . . aber es ist ein wahrlich trauriges Kapitel der Geschichte." Glângaw nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Dann noch einen. Und einen dritten. Aus Respekt und Höflichkeit stellte er die Flasche wieder ab, da er sie wohl sonst in einem Zug gelehrt hätte.

"Nun ihr müsst wissen, als junger Zwergling interessierte mich schon immer das Wissen. Dazu zählt natürlich auch das Wissen um die Kunst. Ich denke ich könnte mich noch an eine Ballade erinnern, allerdings müsste ich sie spontan in eure Sprache übersetzen, wenn ihr so wollt." Er begann in seinem Rucksack nach den Zetteln zu kramen.

"Ja, gerne!" Die Augen der Elfe strahlten vor Begeisterung. Die spitzen Ohren schienen noch in die Höhe zu ragen, die Wangenknochen warden ausgeprägter.

Sie liebte es solches zu hören. "Bitte, erzählt sie."

Gerne hätte sie ihn gefragt, wie ihm ihr Wein schmeckte, befürchtete jedoch, von der Ballade abzulenken.

"Nun gut, aber verzeiht, falls es nicht ganz euren Erwartungen entspricht. Ich musste sie improvisiert aus meinem Gedächtnis aufschreiben, da ich keine Schrift aus der alten Bibliothek retten konnte, und ausserdem wird wohl der Text durch die Übersetzung etwas an Feinsinn verlieren. Aber ich werde mein Bestes geben." Glângaw räusperte sich. "Ich hoffe es spricht euch an."

Die Zwei, sie waren, doch waren sie allein
So teilten sie ihre Welt in entzwei, entzwei
Hervor gingen die Langen, die ewig gleichen
Die Feinen, die bleichen, die oftmals zu weichen
Das Grauen der Erde, die Scharen des Bösen
Die Kinder der Erde, Wächter der Berge
Von den tiefsten Tiefen der Welt
Bis zu den höchsten Gipfeln des Himmels
Hört! Ihr Feinde des Söhne Lamdons
Zittert, in den Schatten, in denen ihr kriecht
Hört die Verkündung eurer Geißel!
In den großen Hallen der Erde
Unüberwindbare Mauern aus Stahl
Feinste Äxte werden euer Leben beenden
So seid auf der Hut, hässliche Brut
So lange Akarja, die glorreiche wacht über dies Land!

Die letzten, tiefen Töne waren verklungen und eine tiefe Stille breitete sich über der Lichtung aus. Verlegen kratzte sich der Zwerg am Hinterkopf. "Nun, sie war wohl nicht ganz so gut wie erhofft. Verzeiht, aber es ist schwer, alles auf dieser Sprache zu übermitteln."

Die Elfe applaudierte anerkennend. Das Werk hatte ihr zugesagt.

"Das ward mir bewusst, keine Sorge darüber. es klang inbrünstig und stark. Doch erlaubt mir die Frage, wer Akarja ist?"

Verlegen fuhr sich der Zwerg durchs Haar. "Schön, dass es euch gefallen hat. Und Akarja.. Es war der Name unserer Stadt. Bevor sie zerstört wurde . . Wahrscheinlich trägt sie nun einen hässlichen orkischen Namen. "Bei dem bloßen Gedanken verfinsterte sich sein Gesicht. Dann besann er sich allerdins wieder und wandte sich wieder an die Elfe.
"Habt ihr denn vielleicht auch eine Ballade zu singen? Ihr wisst, ich strebe stets nach neuem Wissen." Voller freudiger Erwartungen kramte er in seinen Taschen nach leerem Papier und einem Stück gespitzter Holzkohle.